Ökodiktaturen: Lösung der Klimakrise oder Utopie einer frustrierten Gesellschaft?
Klimawandel und dessen Bedrohung sind in aller Munde. Vor allem wird darüber diskutiert, wie das Klima gerettet werden kann und was wir dafür in Kauf nehmen müssen. In einer Demokratie muss darüber debattiert und ein gewisser Konsens gefunden werden. Doch das kostet Zeit – Zeit, die wir nicht haben. Nun stellt sich die Frage: Kann eine Demokratie das Klima retten oder brauchen wir eine Ökodiktatur?
„[Demokratien] sind eben sehr fragil, und wir sind dabei, den Klima-Korridor zu verlassen, in dem sich die gesamte Zivilisationsgeschichte abgespielt hat. Das heißt: Alles, was Menschen gemacht und geschaffen haben, gerät jetzt unter enormen Druck.“ Dies verrät Jonas Schaible am 18.04.2023 in einem Interview mit 3sat. Kaum ein Thema ist zurzeit aufgeladener als die Frage, ob und wie mit dem Klimawandel umgegangen werden sollte. Unter anderem warnte der Ministerpräsident Sachsens, Michael Kretschmer (CDU), bereits am 29.05.2023 davor, dass die politische Landschaft Deutschlands bald so aussehen könne wie in den USA, einem der am stärksten gespaltenen Länder der Welt.
Dass die deutsche Gesellschaft tatsächlich polarisiert ist, bestreitet allerdings Soziologe Steffen Mau: „Eine pauschale Spaltung gibt es nicht. Der Diskurs der Polarisierung bezieht sich auf eine Lagerbildung […]. Aber wir sehen keine Aufspaltung in zwei gut voneinander zu unterscheidende Lager […]. Das heißt: Es geht kein Riss durch die Gesellschaft, aber wir haben stattdessen eine Radikalisierung der Ränder. Da findet die größte gesellschaftspolitische Auseinandersetzung statt“, sagte er am 27.02.2023 in einem Interview mit „Der Standard“.
Die Mehrheit der Deutschen erkennt also den menschengemachten Klimawandel an.
Die größte Diskussion findet über die Frage, welche (extremen) Maßnahmen getroffen werden müssen, statt. In einer Demokratie muss, um Gesetze herausbringen zu können, eine gewisse Grundunterstützung und Bereitschaft vom Volk gegeben sein. Auch wenn der Großteil der Bevölkerung den Klimawandel akzeptiert und sich für den Klimaschutz ausspricht, so sinkt die Bereitschaft, sobald es tatsächlich zu Einschränkungen kommt. Heutzutage lebt unsere Gesellschaft in einem Luxus, den diese als Standard ansieht und nicht aufgeben möchte. Schnelle Veränderungen bereiten den Menschen Angst, und konkret im Alltag eingeschränkt zu werden, führt ihnen diese zunächst negativ belasteten Veränderungen vor Augen.
Gewissermaßen zeigt die Frage, welche Maßnahmen der Staat für Klimaschutz treffen sollte, einen grundsätzlichen Konflikt jeder Staatsform auf: Wie sehr darf und muss sich ein Staat einmischen?
Ein Zusammenspiel aus Sicherheit, in diesem Fall die Erhaltung einer lebenswerten Umwelt für Menschen, und aus Freiheit zu finden, ohne ihnen Maßnahmen aufzuzwingen, ist die Aufgabe einer Demokratie. Eine Alternative zu Verboten von klimaschädlichen Produkten wären finanzielle Anreize, um die Konsumenten zu beeinflussen. Hierbei ergibt sich das Problem der sozialen Frage: „Im Grunde ist die Klimafrage die größte Verteilungsfrage, vor der wir stehen. […] In der Klimafrage [stecken die] Fragen der Verteilung von Kosten und Lasten […]. Es ist nicht so, dass die unteren Schichten oder die Klasse der Arbeiter diesen notwendigen Wandel in Zweifel ziehen, sondern sie haben andere Vorstellungen davon, welche wirtschaftlichen und sozialen Nachteile sie dadurch haben könnten“, meint Mau.
Doch wenn die soziale Frage in den Vordergrund rückt, geht viel Zeit mit Diskussionen über Kosten und Lasten, über Verbote und Anreize verloren. Zeit, die wir nicht haben, denn nicht nur UN-Generalsekretär António Guterres warnte: „Die Welt schafft es nicht, die Klimakrise in den Griff zu bekommen“, sagte er am 14.11.2023 gegenüber der Tagesschau. Seiner Meinung nach weiche die Staatengemeinschaft weiterhin deutlich von dem Ziel ab, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen und somit die Klimakatastrophe zu verhindern.
Aus diesem beschriebenen Zeitdruck heraus entspringt die Idee einer Ökodiktatur. Manche Menschen vertreten die Meinung, dass Demokratien zu langsam und träge und die Mehrheit „zu dumm“ sei, um das Klima zu retten. Ein Anhänger dieses Lösungsansatzes ist der britische Wissenschaftler James E. Lovelock, der in einem Interview mit „The Guardian“ im März 2010 folgendes verrät:
„Auch die besten Demokratien sind sich einig, dass die Demokratie erst einmal auf Eis gelegt werden muss, wenn ein großer Krieg naht. Ich habe das Gefühl, dass der Klimawandel ein so schwerwiegendes Problem wie ein Krieg sein kann. Es kann notwendig sein, die Demokratie für eine Weile auf Eis zu legen.”
Er bezieht sich hierbei auf die Kriegswirtschaft Großbritanniens während des Zweiten Weltkriegs. Dort wurde planwirtschaftlich in die Wirtschaft eingegriffen, um gegen Deutschland gewinnen zu können. Seiner Ansicht nach ist dies ein ähnlicher Fall, in dem aus der Krise heraus der Staat die Führung übernehmen sollte. Denn wenn wenige Personen allein über Regelungen entscheiden können, geht keine Zeit mit Diskussionen verloren. Die mögliche Effizienz einer Diktatur zeigt sich im folgenden Ländervergleich der Leistung erneuerbarer Energien:
Der autoritär geführte Staat China liegt mit 1,1 GW weit vor dem liberalen Staat USA und Deutschland. Doch die Intention Chinas ist vermutlich nicht der Umweltschutz, denn trotz großer Investitionen in erneuerbaren Energien hat China den Ausbau von Kohleverstromung ebenfalls massiv vorangetrieben. Es sind Kohlekraftwerke von über 240 Gigawatt genehmigt worden (Stand 2023). Daher wird vermutet, dass hinter diesen Bemühungen Chinas, klimafreundliche Energien auszubauen, anders als in den USA oder Deutschland vorrangig ökonomische Motivationen stecken.
Trotz dieser Effizienz, am Beispiel China erkennbar, ist Jonas Schaible gegen den Gedanken einer Ökodiktatur: „Die Demokratie wird sich nur bewahren lassen, wenn wir das Klima schützen. Das Klima andererseits wird sich nur demokratisch schützen lassen“, schreibt er in seinem Buch „Demokratie im Feuer“. Er beschreibt seinen Lösungsansatz einer klimafreundlichen Demokratie mit einem Begriff, aus Karl Loewensteins Aufsatz „Militant Democracy and Fundamental Rights”, der 1937 veröffentlicht wurde: die wehrhafte Demokratie. Seiner Ansicht nach ist die, wie er es nennt, „wehrhafte Klimademokratie” die einzige Lösung, bei der ein freies und lebenswertes Beisammensein möglich ist. Zwar müsse der Staat weiterhin Rechte einschränken, doch hießen Einschränkungen nicht automatisch autoritär. Zudem habe die Demokratie Diktaturen etwas voraus: die Möglichkeit, sich zu verändern, sich zu wandeln und den Menschen in ihrer Zeit anzupassen.
Zum Abschluss lässt sich also feststellen: Ökodiktaturen haben einige Vorteile, da sie als unkomplizierterer Ausweg aus der Krise gesehen werden können. Doch um weiterhin ein freies Leben zu ermöglichen, sollte sich nicht die Regierungsform Deutschlands, die sich als Demokratie stetig unter Beweis stellt und sich der Gesellschaft und ihrer Zeit daher auch anpassen muss, verändern. Es ist die Gesellschaft, die umdenken und offener für Veränderungen werden muss. Denn die Idee, dass die „glorreiche Zeit“ erst auf „Schrecken“ folgen kann, so hat uns die Geschichte gelehrt, war schon immer eine Utopie einer frustrierten Gesellschaft, auf deren Boden nur Terror wachsen konnte. Wollen wir den Fehler, der sich bereits über Jahrhunderte hinweg abspielte, wiederholen und eine Regierungsform aufgrund einer Ideologie wählen und somit alle, die anders denken, zu Unterdrückten machen?
Artikel von Carlotta B., 11. Klasse
Quellen:
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https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/oekologie-und-demokratie/508497/auf-dem-weg-in-die-oekodiktatur/
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https://www.3sat.de/wissen/nano/230424-oekodiktatur-statt-demokratie-beim-klima-100.html
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https://www.lpb-bw.de/nachhaltigkeit-demokratie
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https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/oekologie-und-demokratie/508499/nachhaltigkeit-und-demokratie/
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https://www.derstandard.at/story/2000143947133/soziologe-mau-die-klimafrage-ist-die-groesste-verteilungsfrage
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https://themavorarlberg.at/gesellschaft/die-maer-von-der-gespaltenen-gesellschaft
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https://www.tagesschau.de/wirtschaft/energie/china-kohlekraftwerke-100.html
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https://www.tagesschau.de/ausland/un-klimabericht-106.html
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