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Herausfordernd: Quer- & Seiteneinsteiger als Lehrkräfte

Immer mehr Schulen beschäftigen Quer- und Seiteneinsteiger* als Lehrkräfte – diese stehen dann vor einer ganz besonderen Herausforderung. Wie gut funktioniert dieser Übergang in der Praxis? Zwischen neuen, teils unerwarteten Aufgaben, pubertierenden Schülern und dem oft turbulenten Schulalltag? Fest steht: leicht ist das nicht und die Beurteilungen gehen weit auseinander …

Aufgrund des Lehrkräftemangels unterrichten an den Schulen in Deutschland immer mehr Quer- und Seiteneinsteiger*innen. Das sind Lehrkräfte ohne anerkanntes Lehramtsstudium. Wie das Statistische Bundesamt (DESTATIS) aus Anlass des Weltlehrertages am 5. Oktober mitteilte, traf das im Schuljahr 2021/22 auf rund …

  • 8,6 % der Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen zu: Rund 60 800 der insgesamt 709 000 Lehrkräfte dort hatten keine anerkannte Lehramtsprüfung.
  • 20,8 % der insgesamt 124 000 Lehrkräfte an den beruflichen Schulen hatte 2020/21 keine anerkannte Lehramtsprüfung.

* Seiteneinsteiger*innen haben weder Lehramt studiert noch ein Referendariat abgeschlossen. Quereinsteiger*innen haben nicht auf Lehramt studiert, im Gegensatz zu Seiteneinsteigern besteht bei ihnen aber die Pflicht eines Referendariats. Die spezifischen Bedingungen und Möglichkeiten sind je nach Bundesland verschieden (Dt. Bildungsserver, n.D.)

Nun: Obwohl es “brennt” und das Schulsystem aufgrund des wachsenden Lehrermangels sowie hohen Krankenstands (aktuell: bis zu 40% laut E-Mail eines Schulleiters) sowohl externe Projektanbieter (siehe Artikel zur Experimentierklausel), wie auch Quer- und Seiteneinsteiger dringend zu brauchen scheint, werden diese ständig kritisiert, nicht als vollwertig anerkannt, schlechter bezahlt und nicht auf Dauer eingestellt.

Vor allem ist oft zu hören: Die können es einfach nicht – haben ja nicht auf Lehramt studiert. Insbesondere Seiteneinsteiger (ohne Absolvierung eines Referendariats) in allgemeinbildenden Schulen sollen angeblich den Kindern regelrecht schaden. Wobei aber in Berufsschulen die Quereinsteiger, welche ein Studium sowie Berufserfahrung haben, sehr geschätzt werden. Dort setzen sich Schulleitungen dafür ein, dass ihre Quereinsteiger auf Dauer und nicht mehr befristet beschäftigt werden.

Die Redaktion fragte sich:
Warum werden Menschen aus der Wirtschaft überhaupt Lehrkraft? Was bewegt sie dazu und wie läuft das so? Können sie ihren Beitrag zu hochwertiger Bildung (SDG 4) leisten?

Interview mit Frau Mehlbrand (Name geändert) – vom IT-Profi zur Informatiklehrerin

Warum sind Sie als IT-Profi jetzt Informatiklehrerin geworden?

Der Wechsel in den Lehrerberuf war für mich einerseits Herzensangelegenheit, andererseits hatte ich im Laufe meiner Berufstätigkeit festgestellt, dass mir die Arbeit zu introvertiert war. Ich bin eine recht kommunikative Person … Während meiner Jahre in der IT-Branche hatte ich schon den Wunsch, Wissen weiterzugeben und junge Menschen für die Welt der digitalen Medien und IT zu begeistern.

Deshalb hatte ich angefangen, Azubis und Studenten zu betreuen, war so gesehen Ausbilderin. Generell denke ich: Die Digitalisierung ist ein entscheidender Bestandteil unseres Lebens! Und ich will einen Beitrag dazu leisten, die nächste Generation auf ihre digitale Zukunft vorzubereiten – so früh wie möglich, also noch zu Schulzeiten.

Was sind ihre Erfahrungen als Quereinsteigerin im Lehrberuf?

Der Übergang in den Lehrerberuf war nicht ohne Herausforderungen. Ich hatte keine pädagogische Ausbildung und musste viel über Lehrplangestaltung, Pädagogik, insbesondere auch den Umgang mit diversen Schülern lernen. Das über einen Quereinstieg mit Referendariat – die Bezahlung war verhältnismäßig schlecht in der Zeit. Vorher habe ich natürlich viel mehr verdient! Doch schon während des Referendariats musste ich überwiegend alleine unterrichten. Meine beruflichen Erfahrungen als Ausbilderin in der IT halfen mir, das zu tun!

Gab es Momente, in denen Sie sich überfordert geführt haben?

Oh ja, natürlich. Der Unterricht kann manchmal sehr herausfordernd sein – vor einer Klasse mit pubertierenden Schüler*innen zu stehen, insbesondere! Da gab es Momente, in denen ich mich gefragt habe, ob ich dem gewachsen bin. Warum wurden und werden Quereinsteiger, wie ich, ausgerechnet in der Jahrgangsstufe 7 und 8 eingesetzt? Aber nun gut, mithilfe einiger Kolleginnen und durch Fortbildungen, konnte ich meine pädagogischen Fähigkeiten dahingehend entwickeln. Es war eine steile Lernkurve, aber ich habe es bisher nicht bereut!

Haben Sie noch Tipps an zukünftige, quer einsteigende Lehrer*innen?

Mein Rat wäre, sich die Herausforderungen des Lehrerberufs vorher wirklich klarzumachen und erst einmal ein Praktikum in einer Schule zu absolvieren. Man braucht, neben seinem Fachwissen, für den Job gute Nerven, Gelassenheit, Kommunikationsstärke und Flexibilität – denke ich. Weiterer Tipp wäre für andere Quereinsteiger: Glaubt an Euch! Eure beruflichen Erfahrungen werden eine Bereicherung für die Schüler*innen sein, also seid dahin gehend selbstbewusst. Aber: sucht Euch von Anfang einen oder mehrere Kollegen*innen, die Euch jederzeit pädagogischen Rat geben!


Frischer Wind im Unterricht – pro und contra

Generell ist in vielen Schulen noch nicht realisiert worden, dass multiprofessionelle Teams wirklich eine Bereicherung für Schulen sind, schrieb uns eine Lehrkraft aus SH. Andere meinten: Quereinsteiger haben vielfältige Kenntnisse und praktische Berufserfahrungen, sowie Netzwerk-Kontakte, die für Schüler:innen und Unterricht in jedem Fall wertvoll sein können.

Dank ihrer vorherigen Berufserfahrung können sie Theorie und Praxis verknüpfen, was den Unterricht relevanter und greifbarer machen kann. Zusammengefasst: Quereinsteiger können echt frischen Wind in den Unterricht bringen! Insbesondere Berufs(fach)schulen und Berufsgymnasien sehen das positiv und sind sehr zufrieden mit ihren Quereinsteigern!

“Ich finde, wie eigentlich alle in unserer Klasse, meine Lehrer und Lehrerinnen, die Quereinsteiger sind, echt super! Warum? Weil sie sehr motiviert sind, wirken als hätten sie wirklich Freude dabei, und weil sie den Unterrichtsstoff hautnah erklären, anstatt theoretisch und trocken. Man merkt sofort, wenn jemand echte Praxiserfahrung hat!”

Sophie, Schülerin in der Oberstufe am Berufsgymnasium


Allerdings gibt es auch Schattenseiten! Eine Lehrerin aus Niedersachsen schrieb der Redaktion, dass es  in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen zu hohen Abbruchraten und massiven Schwierigkeiten im Kollegium mit Quer- und Seiteneinsteigern kommt.

“Seiteneinsteiger, die kein Referendariat gemacht haben, sollen den Kindern regelrecht geschadet haben. Das führt natürlich generell zu einer schlechteren Qualität der Bildung!”, sagt sie. Ihre Empfehlung: “Wenn, dann darf es meiner Meinung nach nur Quersteiger geben, die pädagogisch ausgebildet werden!”


Video dazu:

Quellen:

 

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