Gesundheit? Stress in der Schule & SDG3
(SBS, NW) Im Schulalltag stehen Schulleitung, Lehrkräfte und Schüler:innen häufig unter Stress. Zuhause setzt er sich oft fort und betrifft auch die Eltern. Was sind die Auslöser dafür und was die Folgen für Gesundheit und Wohlbefinden? Wie sollen alle Beteiligten trotz Stress, Ängsten und Sorgen, gesund bleiben? Wie steht es um ihr seelisches (emotionales, mentales, psychisches) Wohlbefinden und wie kann Schule sich dahingehend nachhaltig entwickeln?
Nachhaltigkeitsziel 3: Gesundheit und Wohlbefinden
Im Rahmen der Agenda2023 der UN gibt es 17 Nachhaltigkeitsziele, kurz: SDGs (engl.: Sustainable Development Goals) genannt. Durch das dritte Nachhaltigkeitsziel (SDG 3) soll ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleistet und ihr Wohlergehen gefördert werden. Weltweit soll der Zugang zu guter medizinischer Versorgung, lebensrettenden Medikamenten, gesunder Ernährung, sauberem Wasser und guter Luft ermöglicht werden.
In Deutschland sind Gesundheit und Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen politisch immer wieder ein Thema – dafür wurde beispielsweise das Präventionsgesetz erlassen. Dazu schreibt das Bundesgesundheitsministerium auf seiner Infoseite: “Es geht zum einen darum, die Risikofaktoren für die Entstehung Lebensstil-bedingter Krankheiten, wie ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel, chronischer Stress, Rauchen und übermäßiger Alkoholkonsum nachhaltig zu reduzieren und gesundheitliche Ressourcen zu stärken. Zum anderen geht es darum, die Verhältnisse, in denen wir leben, lernen und arbeiten, so zu gestalten, dass sie die Gesundheit unterstützen.”
Das klingt gut. Doch wie sieht es damit in Schulen aus? Wie wirkt Stress überhaupt?
Stress kann beflügeln oder krank machen
Positiver Stress, aber auch sporadischer negativer Stress ist normal und völlig unproblematisch. Bei positivem Stress sind wir in Fahrt, hoch motiviert und haben ein Ziel vor Augen, das einen tieferen Sinn hat oder einfach Spaß macht. Positiver Stress beflügelt und lässt uns Unglaubliches vollbringen. Er treibt uns an, lässt uns Hürden überspringen, setzt Endorphine frei und hochbegabte Köpfe strahlen – positive Herausforderungen machen Freude!
Eine dauerhafte Überbelastung mindert aber nicht nur die Lebensqualität, sondern kann unsere Gesundheit nachhaltig beeinträchtigen.
Der Begriff „Stress“ beschreibt, laut Statista.com und der Techniker Krankenkasse, eine natürliche und evolutionär bedingte Reaktion des Menschen auf Bedrohungssituationen. Um einer gefährlichen Lage zu entkommen, schüttet der menschliche Körper Stresshormone aus, die kurzfristig die körperliche Leistungsfähigkeit erhöhen, um auf Gefahren für das eigene Leben durch Kampf oder Flucht reagieren zu können.
Im modernen Alltagsleben sind Kampf und Flucht jedoch höchst selten akzeptable Verhaltensweisen. Die Menschen können in schulischen Situationen auch schlichtweg nicht fliehen – sie müssen aufgrund der Schulpflicht oder des Arbeitsrechts diese Situationen aushalten, ob sie wollen oder nicht. Daher reagieren sie oft mit Reizbarkeit, sind launisch, aggressiv oder „kämpfen“, wenn auch überwiegend verbal – auch gegeneinander oder nach unten innerhalb der Hierarchie.
Die Folgen von Stress sind vor allem Schlafprobleme, Müdigkeit und eine entsprechend geminderte Leistungsfähigkeit aller Beteiligten. Für Schüler:innen bedeutet das insbesondere schlechte Noten – was den Druck noch mehr erhöht. Burnouts und Depressionen entwickeln sich oft schleichend. Einige Betroffene reagieren mit Hautausschlägen auf Stress; andere bekommen regelmäßig grippale Infekte, Bauchschmerzen oder Magen-Darmprobleme. Stresshormone, die vermehrt ausgeschüttet werden, schaden auf Dauer dem Herz-Kreislauf-System, weshalb vor allem Blutdruck und Schlaganfallrisiko steigen.
Der Dauerstress von Lehrkräften wird häufig thematisiert. Der Druck auf Schüler wird dagegen unterschätzt und seltener erwähnt. Fakt ist aber: „Unser Körper reagiert in einer Prüfungssituation prinzipiell genauso wie unter Lebensgefahr“, erklärte Veronika Engert, Leiterin der kürzlich am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) gestarteten Forschungsgruppe „Psychosozialer Stress und Familiengesundheit“. Die Nebennieren schütten dann verstärkt Adrenalin und das Stresshormon Kortisol aus – damit wird klar, warum selbst die begabtesten Schüler:innen oft keine guten Noten abliefern können. Angst und Stress hemmen ihre Leistungsfähigkeit!
Circa 50% der Lehrkräfte & Schüler:innen haben Stresssymptome
Bereits 2017 litten, laut einer DAK-Studie, 47% der Schüler:innen unter Stress. Durch die Corona-Pandemie nahm der Stress nochmal erheblich zu, insbesondere aber auch Erkrankungen wie Depressionen. Seit 2022 löst der Ukraine-Krieg vermehrt Angst aus und erhöht den emotionalen Stress. Laut dem Schulbarometer und der Robert-Bosch-Stiftung litten die Lehrkräfte im Frühjahr 2022 unter körperlicher Erschöpfung (62%); etwa die Hälfte nennt als weitere Beschwerden mentale Erschöpfung (46%), innere Unruhe (45%) sowie Nacken und Rückenschmerzen (43%).
Die Ursachen dafür?
Der sehr lebendige Alltag in der Schule; Lehrpläne und zusätzliche Termine, die einzuhalten sind; der Lautstärkepegel in Klassenzimmern, Stress mit Pubertierenden oder durch Personalmangel; Mobbing und Feindschaften untereinander; besondere Herausforderungen durch (inter-) nationale Krisen; unzählige Kontaktpunkte und Projekte; Entscheidungen im Sekundentakt – all das löst Stress, Angst und Sorgen aus!
Stress entsteht von morgens bis abends durch unzählige Touchpoints in der Schule, aber auch vor und nach dem Unterricht.
Im Marketing werden „Touchpoints“ genutzt, um Kontakt zu (potenziellen) Kunden oder Bewerbern herzustellen, um sie zu finden und anzuwerben, zu binden oder zu informieren – auch digital. Touchpoints in Schulen und nach dem Unterricht gibt es viele – sie werden so stark genutzt, dass sie regelmäßig Stress auslösen.
Alleine der Weg von einem Raum zum anderen, vom Lehrer- zum Klassenzimmer oder zu Fachräumen, besteht aus unzähligen Touchpoints. Besonders in den Unterrichtsräumen ist es oft chaotisch und laut; alle bewegen sich durcheinander. Ängstliche Kinder stehen dann mit dem Rücken zur Wand und wissen nicht, wie sie sich schützen sollen. Lehrkräfte werden ständig von Schüler:innen angesprochen – oder von Kolleg:innen, die „nur kurz mal“ Etwas besprechen möchten. Das stresst.
Auch im Lehrerzimmer gibt es keine Ruhe, nicht in der Mensa beim Essen, in den Klassenzimmern sowieso nicht. Pausen, die der Erholung dienen sollen, sind kaum möglich. Diese Lebendigkeit lieben einige Lehrkräfte und Schüler:innen besonders. Aber Menschen sind verschieden, nicht alle können das ertragen. Hochsensible Personen und Kinder mit ADHS oder anderen kognitiven Besonderheiten halten das kaum aus.
Auch nach dem Unterricht hört der Stress nicht auf. Die Arbeitszeit der Lehrkräfte und Schüler:innen (mit ihren Eltern) ist mit Unterrichtsschluss nicht zuende – es stehen Hausaufgaben und Projektarbeiten an; Klassenarbeiten müssen korrigiert, Elterngespräche geführt, an Weiterbildungen teilgenommen werden. Die Arbeitsbelastung ist beinahe stetig zu hoch und um die Arbeit zu erledigen, wird eigentlich Ruhe benötigt.
Doch: durch die digitalen Touchpoints ist der Stresspegel in den letzten Jahren noch einmal gestiegen.
Zu den Telefonaten mit Kolleg:innen, Projektanbietern oder Eltern sind unzählige E-Mails hinzugekommen, die kaum noch zu bewältigen sind. Weiterhin gibt es jetzt Lern-Management-Systeme, Messenger- und Chatgruppen, in denen digital kommuniziert wird. Insbesondere Messenger-Gruppen kennen weder Uhrzeit noch Stoppzeichen – hier wird oft wertvolle Zeit für sinnlose, nicht zielführende Themen verschwendet.
Diese vielzähligen Kontaktpunkte lassen keinen Moment des Herunterkommens, des In-sich-Ruhens und geistigen Erholens zu. Tag für Tag.
Stressursachen sind insbesondere:
- allgemeine Krisen und Herausforderungen (Corona, Ukraine-SuS)
- Lehrermangel, Aufgabenvielfalt
- Raumgröße, -klima und -akustik
- Klassengrößen, Menge der Hausaufgaben
- Unvorhersehbarkeiten, Entscheidungen im Sekundentakt
- Bewegungsmangel sowie Medienkonsum bei den SuS
- enge Lehrpläne, wenig Zeit
- Mobbing und Feindschaften
- und persönliche Belastungen.
Diese Ursachen sind generell, andere sehr individuell und lassen sich nicht einfach durch Yoga oder andere Entspannungs-Methoden auflösen. Tatsächlich ist der oft genannte Rat, sich zu entspannen, oft kontraproduktiv, weil er suggeriert, Stress sei nur mit Verhaltensänderung zu lösen. Dabei gibt es jeden Tag systemisch-bedingte Stressauslöser. Entspannung kann Resilienz steigern, packt das Problem aber nicht an der Wurzel. Wir müssen die Perspektive ändern:
Symptome behandeln ist oberflächlich und bringt wenig. Die Ursachen müssen angegangen werden!
Autoren: Susanne Braun-Speck (SBS) und Niels Winkelmann (NW)
Details dazu und Lösungsmöglichkeiten werden auf der BNE.digtal bald stehen.
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